Kein Zuckerschlecken für die Überwachungsbehörde: „Ohne künstliche Farbstoffe“ nicht per se irreführende Werbeangabe auf Süßwaren

Sachverhalt

Ein bekannter Süßwarenhersteller bewarb die Freiheit seiner mit Pflanzen- und Fruchtextrakten gefärbten Fruchtgummis von „künstlichen Farbstoffen“. Die zuständige Behörde hielt die Auslobung nach §§ 11 Abs. 1 Nr. 1, 3 LFGB iVm Art. 7 Abs. 1, 4 VO (EU) 1169/2011 für irreführend, da der Gesetzgeber nicht grundsätzlich zwischen „künstlichen“ und „nicht-künstlichen“ Farbstoffen unterscheide und legte die Akte zur weiteren Ermittlung der Staatsanwaltschaft vor. Vorsätzlich irreführende Lebensmittelwerbung stellt nach § 59 Abs. 1 Nr. 7 LFGB eine Straftat dar, welche mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe sanktioniert ist. Der Süßwarenhersteller reichte daraufhin Feststellungsklage beim Verwaltungsgericht Freiburg (Az. 8 K 6149/18) ein und erreichte damit die vorläufige Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Irreführungsvorwurf durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Entscheidung

Mit Urteil vom 10.12.2019 hat das Verwaltungsgericht Freiburg der Feststellungsklage des Süßwarenherstellers stattgegeben und den Vorwurf einer irreführenden Produktkennzeichnung nach VO (EU) 1169/2011 durch die Angabe „ohne künstliche Farbstoffe“ zurückgewiesen. Der durchschnittliche Verbraucher werde sie zutreffend dahingehend verstehen, dass keine chemischen Stoffe eingesetzt wurden, um das bunte Fruchtgummi zu färben. Es sei nicht entscheidend, dass die zur Färbung des Fruchtgummis verwendeten Pflanzen- und Fruchtextrakte nach der VO (EG) 1333/2008 selbst gar nicht als Farbstoffe gelten und rechtlich nicht zwischen künstlichen und nicht-künstlichen Farbstoffen unterschieden werde. Vielmehr sei der allgemeine Sprachgebrauch entscheidend, dem eine solche Unterscheidung nicht fremd sei. So sei der Begriff der „künstlichen Farbstoffe“ unter anderem Gegenstand von Presseberichterstattung gewesen, nachdem britische Forscher einen Zusammenhang zwischen Konzentrationsschwierigkeiten bei Kindern und dem Genuss von Süßigkeiten mit bestimmten Farbstoffen gefunden hätten. Im Übrigen werbe der Hersteller auch nicht mit Selbstverständlichkeiten. Der Verzicht auf (künstliche) Farbstoffe sei ein besonderes Leistungsmerkmal des gekennzeichneten Produkts, da nicht alle Süßwaren dieser Art frei von Farbstoffen sein müssten. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, da die zuständige Behörde noch Berufung zum VGH Baden-Württemberg einlegen kann.

Anmerkung zur Entscheidung

Der Hinweis auf die Freiheit von (bestimmten) Zusatzstoffen (wie z.B. Farbstoffen) unterliegt anders als andere Negativangaben (z.B. „glutenfrei“, „alkoholfrei“, „entkoffeiniert“, „ohne Gentechnik“ oder den nährwertbezogene Angaben „zuckerfrei“, “fettfrei“, „energiefrei“, „Natrium-/Kochsalzfrei“) keiner speziellen gesetzlichen Regelung, welche dafür konkrete Verwendungsbedingungen aufstellt.

Damit ist alleiniger Beurteilungsmaßstab für die Zulässigkeit der Verwendung einer solchen Angabe das allgemeine Irreführungsverbot bzw. anders ausgedrückt die „mutmaßliche Erwartung“ eines fiktiven Durchschnittsverbrauchers, der angemessen gut unterrichtet, aufmerksam und kritisch ist, unter Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren (vgl. Ergr. 18 Richtlinie 2005/29/EG). Dabei stellt sich wiederum die Frage, inwieweit die Erwartungshaltung der Verbraucher auch durch gesetzliche Definitionen vorgeprägt wird und von welchem Differenzierungsgrad man hier ausgehen darf.

Umfragen zum Verbraucherverständnis in Deutschland haben in der Vergangenheit gezeigt, dass Werbeaussagen, die auf die Abwesenheit bestimmter Inhaltsstoffe abheben, von den Kunden in der Regel relativ weit verstanden werden (vgl. Spiller/Zühlsdorf/Nitzko, ZLR 2014, S. 523, 536).  Denn dem Durchschnittsverbraucher sind die rechtlichen Unterschiede zwischen färbenden Lebensmitteln und Farbstoffen nicht zwingend bekannt, auf die insoweit aber werblich Bezug genommen wird. Dies verwundert insoweit auch nicht, da die Grenzen zwischen den in der VO (EU) 231/2012 definierten Farbstoffen und den aus Pflanzenmaterial gewonnenen färbenden Lebensmitteln letztlich doch fließend sind. Eine Grenzziehung wurde bisher durch die sog. “Guidance Notes on the classification of food extracts with colouring properties” vorgenommen, welche derzeit durch die EU Kommission einer Überprüfung unterzogen werden. Stellt man daher allein auf die Verbraucherauffassung ab, so dürfte der Verbraucher bei Hinweisen auf die Freiheit von Farbstoffen auch eine Freiheit von anderen färbenden Zutaten erwarten. Auf der anderen Seite darf dabei aber die vorerwähnte rechtliche Differenzierung nicht völlig unbeachtet bleiben. Der europäische Gesetzgeber hat bisher anerkannt, dass es neben „Farbstoffen (Zusatzstoffen)“ auch andere, färbende Lebensmittelzutaten als Alternativzutaten gibt, auf deren Existenz durchaus auch über eine Negativkennzeichnung („ohne Farbstoffe (Zusatzstoffe)“) hingewiesen werden darf. Man kann vortrefflich darüber streiten, ob man hier zusätzlich aus Gründen der Verbraucheraufklärung bzw. – erziehung angeben sollte, dass das Produkt stattdessen „färbende Pflanzenextrakte“ enthält (sofern es diese natürlich auch enthält). Wer auf der ganz sicheren Seite sein will, wird dies sicherlich in Erwägung ziehen.

Im konkreten Fall hatte der Süßwarenhersteller aber differenziert auf die Freiheit von einer speziellen Art von Farbstoffen, nämlich den „künstlichen Farbstoffen“ hingewiesen. Solche gibt es tatsächlich, allen voran in Form der sog. Azo-Farbstoffe, auf die auch im Urteil des VG Freiburg entsprechend rekurriert wird. Diese synthetisch hergestellten Farbstoffe müssen seit dem 20.07.2010 sogar zusätzlich mit dem Vermerk „Kann die Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen“ gekennzeichnet werden. „Künstliche“ Azofarbstoffe sind aufgrund ihrer hohen Farb- und Lichtechtheit immer noch beliebt bei der Herstellung von Erfrischungsgetränken, Süßwaren, Speiseeis und feinen Backwaren. Aus diesem Grund ist die Entscheidung des Verwaltungsgericht Freiburg auch insoweit folgerichtig, wenn es die konkrete Angabe gerade nicht als irreführende Hervorhebung einer sog. Selbstverständlichkeit, sondern als Hinweis auf eine echte Besonderheit der so gekennzeichneten Süßware ansieht.

Aber auch sonst ist die Entscheidung nicht zu beanstanden. Richtig ist zwar, dass der Gesetzgeber selbst im europäischen Zusatzstoffrecht nicht zwischen „natürlichen“, „naturidentischen“ und „künstlichen“ Zusatzstoffen unterscheidet, sondern nur zwischen den einzelnen Funktionen der Zusatzstoffe (z.B. Farbstoffe). Das bedingt aber – anders als die geltende Behördenauffassung – noch kein per se Werbeverbot wegen Irreführung (so falsch schon ALS-Stellungnahme Nr. 2016/26, „ohne künstliche Farbstoffe“). Denn dem Verbraucher ist eine Differenzierung zwischen „natürlichen“ und „nicht-natürlichen“, mithin vor allem „künstlichen“ (chemisch, synthetischen) Stoffen nicht zuletzt auch aus dem europäischen Aromenrecht entsprechend vertraut (vgl. Art. 3 (2) lit. c), 16 VO (EG) 1334/2008). Analog dazu durfte der Verbraucher auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass bei der konkret beworbenen Süßware auf die Verwendung einer bestimmten Art von Farbstoffen, nämlich den „künstlich“ hergestellten verzichtet wurde. Dies war schließlich auch der Fall. Der Verbraucher konnte diese Tatsache auch durch einen Blick ins Zutatenverzeichnis entsprechend verifizieren, in dem sich schon der Begriff der „Farbstoffe“ angesichts des alternativen Einsatzes von färbenden Lebensmittelextrakten gar nicht fand. Eine Täuschung durch eine sachlich richtige und überprüfbare Behauptung ist nicht erkennbar. Wahrheit und Wirklichkeit stimmen überein.

Das Urteil des Verwaltungsgericht Freiburg schafft insoweit weitere Rechtssicherheit für die Verwendung von „frei von Zusatzstoff“-Angaben. Hierzu existieren bisher nur wenige veröffentlichte Entscheidungen, die eine entsprechende Orientierungshilfe bieten können. Auch insoweit ist das Urteil sehr zu begrüßen.

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